Frau Anzer, wo würden Sie im Klinikalltag ansetzen, um herauszufinden, wo Zeit- und unnötige Energiefresser vorhanden sind?
Ich würde den normalen Tagesablauf in einer Klinik einmal von der Früh bis zum Abend durchskizzieren. Der Klinikalltag beginnt beim Ankommen im Haus, der Möglichkeit sich umzuziehen, sich zu duschen, weil man mit dem Fahrrad kommt. Kurz: die Zeit vor Beginn der eigentlichen Schicht. Wie ist das organisiert? Gibt es Spinte, Duschen, wie werden „Umkleidezeiten“ verrechnet?
(tbd: Schnittstellen zu anderen Bereichen, Ärzten, Pflegedienstleitung, Stationsleitung etc.)
Die Frühschicht startet dann mit der ersten Runde auf Station. Wie ist vorher die Übergabe von der Nachtschicht gelaufen? Muss der Mitarbeiter erst viel lesen, wird es ihm erzählt, muss er über einen Notfall Bescheid wissen? Sind die Tabletten vorsortiert und geschah das in Ruhe und nicht nebenbei? Welche Abläufe gehen in Fleisch und Blut über und wo hakt es am meisten? Warum hakt es dort immer wieder? Sitzen bei der Lösungsfindung die richtigen Menschen am Tisch?
Um diese im alltäglichen Geschehen versteckten nennen wir es einmal Effizienzfresser deutlich zu machen, hilft oft ein einfaches Tool, eine Prozesslandkarte.
Was ist der Sinn einer Prozesslandkarte?
Eine Prozesslandkarte stellt dar, welche Prozesse wertschöpfend, unterstützend oder Management-Aufgabe sind. Sie kann die Grundlage für einen sauberen Ablauf in einer Klinik sein. Ist allen im Team klar, womit Sie ihr Geld verdienen?
In der Architektur bzw. im Design gibt es den Gestaltungsleitsatz „form follows function“. Übertragen auf eine Organisation bedeutet das, die Struktur der Organisation basiert auf vorher definierten Prozessen (Ablauforganisation) und deren Schnittstellen und Zuständigkeiten. Darauf aufbauend ergibt sich eine Struktur, die dann Aufbauorganisation genannt wird. Sehr oft ist es in Kliniken so, dass es „Schichten“ gibt, die sich an den jeweiligen Ausbildungen der Mitarbeiter festmachen. Wenn Prozesse definiert werden, wird jeder Arbeitsschritt einer Person zugeordnet und die damit verbundenen Ausbildungslevel definiert. Ebenso werden Input- und Output-Faktoren festgelegt, die den Aufgabenerfüller vorher und nachher erkennen lassen, was zu tun ist, damit der nächste Mitarbeiter übernehmen kann.
Wo liegen die häufigsten Stolperstellen im Klinikalltag?
Sobald einzelne Arbeitsschritte ohne Zusammenhang abgearbeitet werden, fehlt der Prozess dahinter. Sind die Rollen klar definiert? Ist allen klar, mit welchem Ereignis ein Prozess beginnt bzw. endet? Was in der Industrie lange schon „Usus“ ist, kann in vielen Pflege-Einrichtungen noch nicht mit Leben gefüllt werden.
Und hier beginnt schon die Veränderung, die gemanagt werden muss. Die Krankenschwester ist es gewohnt, sich um die Pflege von Menschen zu kümmern und nicht auch noch eine Sekretariatsarbeit zu übernehmen. Dafür die sie in einigen Teilen auch nicht ausgebildet. Wo fehlt es nun, dass sowohl die Pflege und die Stationssekretärin unglücklich sind? Wie müssen beide Rollen und Aufgabenbereiche angepasst werden, damit der Laden läuft? Wird klar kommuniziert, warum neue Abläufe eingeführt werden und welches Ziel damit verfolgt wird?
Warum ist Veränderung in Kliniken so schwer?
Wir hören mehrfach von Mitarbeitenden aus Kliniken, dass immer wieder neue Themen „von oben“ eingekippt werden, obwohl die alten Projekte noch nicht sauber abgeschlossen sind. Oft bedingt ein Thema das andere.
Multiprojekt-Management und Projekt-Portfolio-Management sind hier von Nöten. Nur ist die Kernkompetenz einer Geschäftsführung oder eines Oberarztes nicht das Management von Projekten. Ebenso wenig ist es die Aufgabe einer Anästhesistin ein neues Zeitarbeitsmodell einzuführen.
Wenn Veränderungen nicht sauber geplant und durchgeführt werden und auch die Interdependenz mit anderen Projekten und Prozessen ignoriert wird, ist es nicht verwunderlich, dass ambitionierte „Verbesserungen“ scheitern.
Ein weiteres Beispiel ist der Betreuungsschlüssel:
Für eine bestimmte Anzahl von Patienten ist eine klar definierte Anzahl von Pflegekräften einzuplanen. In vielen Häusern wird der Betreuungsschlüssel umgangen, indem die Klinikleitung wohlweislich Geldstrafen in Kauf nimmt. Es geht um Profit und darum, aus den roten Zahlen herauszukommen. Hier liegt das Problem: eine Pflegekraft hat sich für diesen Beruf entschieden, weil sie von ihrer Charakteristik und der Haltung helfen will, Menschen pflegen will, und zwar in einem menschlichen Maß – sowohl für Patient als auch für die Pflegekraft. Jetzt ist es aber erforderlich mehr Menschen zu pflegen, als es der Betreuungsschlüssel vorgibt. Dies führt zu gegenseitiger Unzufriedenheit. Der Pflegende versucht möglichst vielen Patienten zu helfen und brennt dabei aus. Dies hat zur Konsequenz, dass weder das Personal lange und effektiv zur Verfügung steht, noch dass die Patienten zufrieden sind. Hauptsache die Zahlen stimmen.
Und schon sind wir wieder bei den Wertschöpfungsprozessen mit der wichtigen Frage: Wissen Sie, wie hoch die Kosten für ihr Produkt sind und welcher Preis dafür erhoben werden muss?
Der Schlüssel zum Erfolg kann nicht aus der Klinik selbst, sondern nur mit Hilfe von außen kommen. Es gilt zum einen die richtigen Fragen zu stellen und zum anderen genau zu planen, wie die entsprechenden Optimierungen ineinandergreifen können. Erst dann kann Veränderung auch wirklich vom Team im Klinikalltag gelebt werden.